Interview – Dr. Linn Selle (Präsidentin der EBD)

Anfang Juli wurde Linn Selle zur neuen Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland gewählt. Caroline Müller-Hofstede sprach für Citizens of Europe mit Ihr über die Generation Erasmus, die anstehende Europawahl und Europa in der Provinz.

1. Sie haben für Ihr Engagement bei JEF 2014 den “Preis Frauen Europas” bekommen. Sie sind die vierte weibliche Präsidentin des EBD und fordern mehr Frauen- und Geschlechterpolitik. Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor?

Zunächst freue ich mich sehr, dass unsere Mitgliederversammlung Politische Forderungen beschlossen hat die einen starken Akzent in Sachen Geschlechtergerechtigkeit setzen! Denn in der Tat es gibt viel zu tun. Unmittelbar finde ich es wichtig, dass bei den Europawahlen mehr Frauen als bisher auf den Kandidatenlisten stehen. Auch gab es noch nie eine Frau als Präsidentin der Europäischen Kommission – ich glaube es ist an der Zeit, dass sich das nach über 60 Jahren auch einmal ändert! Dafür setzt sich ganz aktiv das Netzwerk der Trägerinnen des „Preis Frauen Europas“ ein – gemeinsam mit einigen EBD-Mitgliedsorganisationen und befreundeten Verbänden.

2. Bei der letzten Europawahl haben Sie dafür gesorgt, dass das TV-Duell zwischen Martin Schulz und Jean-Claude Juncker auch im ARD und ZDF ausgestrahlt wird. Was haben Sie sich nun als Präsidentin der EBD für die kommende Europawahl im nächsten Frühjahr vorgenommen?

Die EBD ist vor allem eine Mitgliederorganisation, darum ist es mir wichtig, zunächst einmal herauszufinden, welche Ideen, Pläne und Wünsche an uns die EBD- Mitglieder zur Europawahl haben und darauf dann unsere Überlegungen aufzubauen. Aber klar ist: Die EBD muss eine vernehmbare Stimme bei der Europawahl sein. Wir sollten den politischen Parteien nicht die Arbeit abnehmen, um Wählerstimmen zu generieren, aber die EBD sollte politisch klarmachen, worum es bei der Europawahl geht – dass es darum geht, wichtige europäische Entscheidungen zu gestalten und Reformen anzuschieben. Aber wie gesagt: Zunächst einmal zuhören!

Für junge Menschen ist Europa Alltag

3. Aufgrund Ihres Alters sind Sie nicht nur die jüngste Preisträgerin des “Preis Frauen Europas” sondern auch die jüngste Präsidentin der EBD. Sie selbst bezeichnen sich als Teil der Generation Erasmus. Was würden Sie jungen Menschen in der aktuellen Situation, in der sich Europa befindet, ans Herz legen?

Für junge Menschen ist Europa Alltag, und viele junge Menschen setzen sich heute schon ganz aktiv dafür ein, dass Europa offen und tolerant bleibt – schauen wir uns nur einmal das gesellschaftliche Engagement im Bereich der Flüchtlingshilfe an oder die vielen Tausend Menschen, die gegen den Brexit demonstriert haben! Aber ich glaube, dass dennoch vielen nicht bewusst ist, wie fragil diese Selbstverständlichkeit mittlerweile leider geworden ist. Darum ist es umso wichtiger, dass junge Menschen sich politisch engagieren, sich einmischen und laut und deutlich sagen, was sie wollen.

4. Sie sind der Überzeugung, dass man Europa nicht nur in Brüssel, Berlin oder Paris findet, sondern auch in Havixbeck. Wie sieht Europa in Havixbeck aus? Wie kann man den Menschen in der Provinz Europa schmackhaft machen?

Aber klar! Das ist ja keine Frage der Region. Havixbeck ist wie viele westdeutsche Kleinstädte stark geprägt durch die deutsch-französische Freundschaft und eine aktive Städtepartnerschaft. Aber auch die Nähe zu den Niederlanden führt dazu, dass es für viele normal ist in den Niederlanden einkaufen zu gehen. Und am Ende des Tages ist das westfälische Platt – das aber leider nur noch wenig gesprochen wird – auch ein Brückenbauer, denn es ist ganz ähnlich dem Niederländischen, Dänischen und anderen Dialekten in Norddeutschland.

Wir alle müssen unsere Stimme erheben.

5. Woraus sollten Ihrer Meinung nach die drei Hauptziele der organisierten Zivilgesellschaft in den nächsten Jahren bestehen? Welchen Beitrag können kleine Vereine wie Citizens of Europe dazu leisten?

Das wichtigste aus meiner Sicht ist vor allem: Laut sein. Wir alle müssen unsere Stimme erheben. Denn obwohl die Mehrheit der Deutschen und Europäer für ein starkes Europa sind, sind die Skeptiker und Populisten meist viel lauter. Auch sollten sich gesellschaftliche Kräfte noch stärker in der Gesellschaft vernetzen. Wir müssen nicht nur in Berlin, sondern überall versuchen präsent zu sein. Und zu guter Letzt ist müssen wir alle stärker grenzüberschreitend denken und arbeiten und den Dialog mit anderen europäischen Staaten suchen – auch mit denen, mit denen wir vielleicht nicht immer einer Meinung sind. Citizens of Europe hat als kleiner Verein den Vorteil agiler zu sein als große Tanker und schneller neue Themen anzugehen – darum: nur Mut, laut zu sein! In der EBD ist es uns übrigens wichtig, gerade den Austausch und Interessenausgleich zwischen kleineren und größeren Verbänden sicherzustellen.